
Selbstregulation im Familienalltag: Mit Somatic Experiencing® gelassener durch den Tag
Ist Selbstregulation das neue Zauberwort? Muss es Gelassenheit um jeden Preis sein?
Der Familienalltag kann schon am Morgen stressig beginnen. Alle Kinder sollen pünktlich aus dem Haus, um den Bus zu erreichen: Aufstehen, dem Wetter entsprechend anziehen, frühstücken, Zähneputzen – alles läuft nach Routine, damit es möglichst entspannt bleibt. Doch dann geschieht etwas Unerwartetes: schlechte Laune, Trödelei, liegengebliebene Sachen, ein ruppiges Anstupsen zwischen Geschwistern. Streit entsteht, die Stimmung kippt, die Nerven liegen blank.
Ist hier Selbstregulation das hilfreiche Zauberwort?
Was ist Selbstregulation?
„Selbstregulation bedeutet, dass man seine eigenen Gefühle, Gedanken und Handlungen kontrollieren kann. Es hilft, in stressigen Situationen ruhig zu bleiben und nicht impulsiv zu reagieren. Das ist wichtig, um gesunde Beziehungen zu führen und persönliche Ziele zu erreichen.“
In der Familienberatung zeigt sich: Oft geht es vordergründig um ein Kind – tatsächlich betrifft es aber das gesamte System. Ein Ansatz, der hier Anknüpfungspunkte bietet, ist Somatic Experiencing® (Peter Levine). Ursprünglich für den Umgang mit Trauma entwickelt, geht es von der Idee aus, dass belastende Erfahrungen im Körper gespeichert bleiben. Durch achtsames Wahrnehmen können diese Spannungen gelöst und die Fähigkeit zur Selbstregulation gestärkt werden.
Die drei Bereiche
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Grün: Sicherheit, Gelassenheit, Kontrolle. Ich kann entscheiden, meine Gedanken sind ruhig, der Körper entspannt.
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Rot: Stress, Druck, Beschleunigung. „Ich muss, ich soll“, Atem unregelmäßig, Herzschlag schneller.
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Blau: Überforderung, Stillstand. Nichts geht mehr, Hilflosigkeit und Alleinsein stehen im Vordergrund.
Ziel ist es, den grünen Bereich zu erweitern und darin Sicherheit aufzubauen. Erst von hier aus lässt sich Schritt für Schritt auch in Richtung „Rot“ gehen.

Impulsfragen zum grünen Bereich
Denken Sie an ein Highlight der letzten Tage. Was passiert im Körper, wenn Sie daran zurückdenken? Wo spüren Sie es? Lässt sich diese Wahrnehmung ausweiten? Welche Gefühle tauchen auf?
Was entspannt Sie selbst schnell? Was tun Sie dabei, an welchem Ort sind Sie, wo spüren Sie es im Körper?
Für Kinder/Jugendliche: Was machst du, wenn du „richtig chillst“? Wo im Körper fühlst du die Entspannung? Hat sie eine Farbe, einen Geruch, eine Bewegung? Welches Gefühl zeigt sich dabei?
Wenn Stress überhandnimmt
Im roten Bereich kann es hilfreich sein, den grünen Bereich bewusst anzusteuern:
Was brauchen Sie als Elternteil jetzt, um kurz zur Ruhe zu kommen? Einen Rückzugsort, tiefe Atemzüge, ein kurzes Hinausgehen, den anderen Elternteil einbeziehen?
Rufen Sie sich ein positives Erlebnis ins Gedächtnis, das Sie körperlich verankert haben. Oft verändert sich sofort die Atmung, die Gefühle verschieben sich. So können Eltern nicht nur sich selbst, sondern auch ihre Kinder co-regulieren.
Ein Bild oder ein Spruch im Blickfeld, der Gelassenheit vermittelt, erinnert daran: „Es ist machbar, ich bin nicht allein.“
Weitere Anregungen, um länger im Grün zu bleiben
Struktur gibt Halt: Wann läuft es stressfrei? Was hat früher gut funktioniert?
Nach dem Konzept der Neuen Autorität (Haim Omer): Eltern sind Anker durch Präsenz, Gelassenheit und Beziehung.
Unterscheiden Sie zwischen „wichtig“ und „dringend“. Erledigen Sie das Dringende, schreiben Sie das Wichtige auf.
Stephen Porges betont den Vagusnerv: Unterstützen lässt er sich durch tiefes Atmen, kurzes Gesichtwaschen mit kaltem Wasser, Singen oder Summen, eine kleine Yoga-Einheit.
Mit Kindern/Jugendlichen im grünen Moment über Stressfaktoren sprechen: manchmal helfen überraschend einfache Ideen – ein Kaugummi, eine Playlist statt Radio, eine andere Weckermelodie, ein Kuschelritual.
Selbstregulation ist kein Zauberwort
Selbstregulation ist eine alltägliche Fähigkeit, die sich üben und stärken lässt. Wer den eigenen grünen Bereich pflegt, wirkt gelassener – und überträgt diese Ruhe auch auf die Familie.
Literatur:
Levine, P./Kline, M. (12. Auflage, 2020) Verwundete Kinderseelen heilen. Wie Kinder und Jugendliche traumatische Erlebnisse überwinden können.
https://vagus.net/die-bedeutung-des-vagusnervs-nach-stephen-porges/ , entnommen 7.9.25
Mehr dazu im Upgrade „Going with families – FAMILIEN- und ERZIEHUNGSBERATUNG“ ab Jänner 2026 in Koppl bei Salzburg.
Mag. Barbara Kitzmüller
eine Stimme für mehr Gelassenheit im Familien- und Beratungsalltag
Barbara Kitzmüller ist erfahrene Pädagogin, Supervisorin und Lebens- und Sozialberaterin mit Schwerpunkt auf Familien- und Erziehungsthemen. Sie leitet seit 2007 Seminare und Fortbildungen (u. a. bei AGB) in den Bereichen GESTALTpädagogik, Supervision, Eltern-/Familienberatung und Coaching.
In ihrer Arbeit verbindet sie alltagstaugliche Impulse mit systemischer und körperbezogener Methodik (z. B. Somatic Experiencing®) . Ihr Fokus: Menschen befähigen, Veränderung zu gestalten – nicht theoretisch, sondern gemeinsam und lebendig in der Praxis.