
Das Lernzonenmodell und seine Bedeutung in der Erlebnispädagogik
Was bringt uns wirklich zum Lernen? Nicht nur Informationen, sondern vor allem Erfahrungen, die uns berühren, fordern und verändern. Das Lernzonenmodell bietet dafür einen wertvollen Rahmen: Es beschreibt, wie Menschen sich zwischen Sicherheit und Herausforderung bewegen und dabei persönlich wachsen. Ursprünglich von Luckner & Nadler (1997) entwickelt und später von Tom Senninger popularisiert, unterscheidet es zwischen Komfort-, Lern- und Panikzone.
Dieser Artikel erklärt das Modell anschaulich und zeigt, wie es in der Erlebnispädagogik konkret angewendet wird – insbesondere im Rahmen des AGB-Lehrgangs Outdoorkompetenz.
Visualisierung: Mehr als nur Ringe
Das Lernzonenmodell wird meist ringförmig dargestellt – als konzentrische Kreise oder Elipsen um die Komfortzone herum. Diese Darstellung ist eingängig, aber vereinfacht. In der Praxis verläuft Entwicklung oft nicht gleichmäßig. Manche Themen oder Situationen lassen nur schmale Übergänge zur Lernzone zu, andere bieten weite, stabile Felder zum Erproben. Deshalb bevorzuge ich eine Darstellung in kartoffelartigen, unregelmäßigen Formen: Sie zeigen anschaulich, dass Komfort- und Panikzonen je nach Kontext näher oder weiter voneinander entfernt liegen – und dass es individuelle Zugänge zur Lernzone gibt, mal offen und einladend, mal eng und steil.
Die Komfortzone: Wo alles vertraut ist
Die Komfortzone (oder Kernzone) ist der Bereich, in dem wir uns sicher, entspannt und kompetent fühlen. Hier kennen wir uns aus, haben Routinen, erleben wenig Stress. Das ist angenehm und wichtig, denn wir brauchen diesen Raum zur Erholung, Stabilität und Selbstvergewisserung. Es ist auch der Raum unserer Kernkompetenzen. Wer aber ausschließlich in der Komfortzone bleibt, vermeidet neue Erfahrungen. Auf Dauer kann das zu Stagnation führen, die Komfortzone wird möglicherweise sogar enger, das Selbstvertrauen schrumpft.
Reflexionsfragen für die Komfortzone:
- Wo fühle ich mich sicher, aber wachse nicht mehr?
- Welche Routine könnte ich bewusst unterbrechen?
- Was vermeide ich, obwohl ich neugierig darauf bin?
Die Groanzone: Der Übergangsraum voller Spannung
Zwischen Komfortzone und Lernzone liegt nach Luckner & Nadler die sogenannte Groanzone. In vielen Darstellungen wird diese Zone ausgespart, ich finde sie aber sehr intersssant. Der Name leitet sich vom englischen „to groan“ – stöhnen oder ächzen – ab. Diese Zone ist geprägt von innerem Widerstand, Zweifeln, Frustration oder Unklarheit. Sie fühlt sich unangenehm an, ist aber ein entscheidender Schritt hin zum Lernen. In der Groanzone entscheiden wir, ob wir uns der Herausforderung stellen oder zurück in die Komfortzone flüchten.
Gut begleitete Prozesse helfen dabei, die Groanzone durchzustehen und daraus in die Lernzone überzugehen. Hier beginnt das eigentliche Wachstum. Für Gruppen bedeutet das: sich gemeinsam aufraffen und die Routinen, die gerade so halbwegs funtionieren, zu überwinden.
Reflexionsfragen für die Groanzone:
- In welchen Momenten spüre ich inneren Widerstand oder Frustration?
- Was hindert mich daran, einen Schritt weiterzugehen?
- Wie gehe ich mit dem „Unbequemen“ in mir um?
Aus der Kernzone in die Lernzone: Wo Wachstum möglich wird
In der Erlebnispädagogik versuchen wir, die uns anvertrauten Gruppen aus der Kernzone in die Lernzone zu locken. Dies gelingt uns durch attraktive Angebote und setzen in der Beziehungsarbeit darauf, dass uns die Gruppe vertraut und sich in die Lernzone begleiten lässt. Das Vertrauen gründet auf dem Vorschussvertrauen, dass wir durch Wissen, Kompetenz und Erfahrung die Gruppe in der Lernzone vor der Panikzone schützen. In der Lernzone ist nicht mehr alles vertraut, aber noch nicht überfordernd. Es gibt Spannung, Unsicherheit, vielleicht auch Nervosität – aber gerade das aktiviert unsere sozialen Lernprozesse. Welche Rollen sind in neuen Handlungsfeldern gefragt? Welche Kompetenzen kann die Gruppe in unklaren Problemlösungsaufgaben abrufen? Weche Qualitäten werden dadurch sichtbar?
Die Lernzone ist das Herzstück des Modells: Hier lernen wir neue Fähigkeiten, verändern Einstellungen und entwickeln uns weiter. Sie fordert Mut und Neugier, aber auch Selbstwahrnehmung und Reflexion.
Unfreiwillig in der Lernzone?
Nicht immer betreten wir allerdings die Lernzone freiwillig. Manchmal geraten wir durch Lebensereignisse wie Trennungen, Jobverlust oder berufliche Umorientierung unvermittelt in diesen Lernbereich. Diese Erfahrungen bringen Unsicherheit mit sich, bergen aber auch das Potenzial zur Neuorientierung, zur Entwicklung neuer Stärken und zur Selbstreflexion. Coaching oder therapeutische Begleitung kann helfen, diesen Prozess bewusst zu gestalten. Hier spiegelt sich auch das Phänomen wider, dass in Krisen besonders gut gelert werden kann, sofern diese als bewältigbar erlebt werden.
Reflexionsfragen für die Lernzone:
- Wann habe ich zuletzt etwas getan, das mich herausgefordert hat?
- Wie gehe ich mit Unsicherheit um?
- Welche neuen Fähigkeiten möchte ich entwickeln?
- Welche aktuelle Veränderung könnte eine Lernchance sein?
Die Panikzone: Wo Lernen blockiert wird
Geht die Herausforderung zu weit, betreten wir die Panikzone. Hier dominiert Stress, Angst oder Überforderung. Der Körper schaltet in den Überlebensmodus, rationales Denken wird blockiert. Das Gehirn sucht im triebhaften Bereich nach Möglichkeiten von Angriff, Verteidigung oder Starre. Lernen ist in diesem Zustand kaum mehr möglich. Ein Beispiel dafür wäre ein Blackout auf der Bühne oder ein Erstarren bei einem aufkochenden Konflikt. In der Erlebnispädagogik ist es unser Auftrag, die Gruppe in sicherem Rahmen in die Lernzone und zurück in die Kernzone zu führen. Deshalb ist es wichtig, Gruppenprozesse so zu gestalten, dass Teilnehmende angeregt, aber nicht überfordert werden.
Reflexionsfragen für die Panikzone:
- Wann war ich zuletzt überfordert? Was war zu viel?
- Wie merke ich, dass ich in der Panikzone bin?
- Was brauche ich, um wieder in die Lernzone zurückzukommen?
Das Modell in der Praxis: Wie Erlebnispädagogik wirkt
Erlebnispädagogik arbeitet gezielt mit dem Lernzonenmodell. Die Natur, Bewegung und gruppendynamische Herausforderungen, wie sie zum Beispiel Problemlösungsaufgaben darstellen, schaffen Erfahrungsräume außerhalb der Komfortzone – aber in sicherem Rahmen. Gut begleitet können Teilnehmende so Selbstwirksamkeit erleben, Risikokompetenz entwickeln und soziales Lernen erfahren.
Die Lernzone wird dabei bewusst angesteuert: durch kooperative Aufgaben, überschaubare Risiken und reflektierte Herausforderungen. Gleichzeitig achten Erlebnispädagog*innen darauf, die Panikzone zu vermeiden. Das erfordert Fingerspitzengefühl, Erfahrung und eine klare Haltung.
Der Lehrgang „Outdoorkompetenz“ von AGB-Seminare
Wer lernen möchte, wie man solche Erfahrungsräume professionell gestaltet, findet im Lehrgang „Outdoorkompetenz“ von AGB-Seminare eine fundierte Ausbildung. Hier werden die Prinzipien des Lernzonenmodells praktisch erlebbar gemacht:
- Wie setze ich herausfordernde, aber sichere Impulse?
- Wie leite ich Gruppenprozesse in der Lernzone an?
- Wie erkenne ich Panikreaktionen und handle verantwortungsvoll?
Die Ausbildung umfasst Methodenkompetenz, Sicherheitsmanagement, Reflexionstechniken und die eigene Haltung als Lernbegleiter*in. Sie verbindet theoretisches Wissen mit unmittelbarer Erfahrung – ganz im Sinne der Erlebnispädagogik.
Literatur
Luckner, J. L., & Nadler, R. S. (1997). Processing the Experience: Strategies to Enhance and Generalize Learning. Kendall Hunt Publishing.
Senninger, T. (2000). Abenteuer leiten: Erfahrungen in der Natur als pädagogische Chance. Ökotopia.
Brown, M. (2008). Comfort zone: Model or metaphor?. Australian Journal of Outdoor Education, 12(1), 3-12.
Csíkszentmihályi, M. (1990). Flow: The Psychology of Optimal Experience. Harper & Row.
Podcast: Komfortzone verlassen – muss man das? Melanie Mittermaier – Liebe Leben Podcast
Im modularen Outdoorkompetenz in Gruppenprozessen – Lehrgang 2026 werden Methoden und Konzepte des handlungsorietieren Lernens vermittelt.
Michael Gruber-Schilling
Michael Gruber-Schilling ist Lehrtrainer in AGB-Lehrgängen. Mit einem Hintergrund in Sozialpädagogik, Outdoortraining und Beratung begleitet er seit vielen Jahren Gruppen in herausfordernden Lernprozessen. Seine Arbeit zeichnet sich durch eine klare, humorvolle Haltung, viel Erfahrung in Krisensituationen und ein feines Gespür für Gruppendynamik aus. Als Brückenbauer zwischen Natur, Methode und Mensch legt er besonderen Wert auf Selbsterfahrung, Sicherheit und Transfer in den Alltag.