Liebe braucht Versöhnung

Liebe bedeutet, zu ertragen, zu verzeihen, Unerwünschtes anzunehmen. Differenzen sind Teil jeder Gemeinschaft. Wir ergänzen einander in unseren Unterschieden. Und immer wieder werden wir andere ungewollt kränken. Die Art und Weise, wie wir mit Differenzen, Konflikten und Kränkungen umgehen, prägt eine Beziehung mehr als vieles andere. Manche Kinder zeigen uns, wie leicht Versöhnung nach einem Streit gelingen kann. In Liebesbeziehungen sind viele Menschen besonders irritiert von einem Streit. Hinderlich für konstruktive Auseinandersetzung sind oft auch romantische Ideale der harmonischen Verliebtheit und Träume von der einen Person, die perfekt zu mir passen würde. Doch Krisen können wichtige Impulse zur Weiterentwicklung bringen, insbesondere zur Weiterentwicklung von Werthaltungen. Unser Umgang mit Krisen prägt unsere Persönlichkeit ebenso wie der Umgang mit Konflikten. Auch Abgrenzung und Selbstbehauptung können wichtige Lernschritte sein, vor allem dann, wenn unsere Eigenständigkeit in der Kindheit oft verletzt wurde.
Offene Aussprache bedeutet auch, sich Verletzlichkeit einzugestehen. Wer sich gekränkt oder verletzt fühlt, erwartet oft, dass das, was so unangenehm empfunden wurde, der anderen Person bewusst ist. Doch auch in Nahe-Beziehungen hat jede Person eine subjektive Wahrnehmung und individuelle „Schmerz-Punkte“. Die Vorstellung, es gäbe diesbezüglich objektive Wirklichkeiten, ist hinderlich für offene Gespräche. So kann es wichtig sein, auszusprechen, wo die eigene Empfindsamkeit getroffen wurde. Dies klar aussprechen bedeutet auf „großzügig“ vordergründiges „Verständnis“, aber auch auf „Rache“ zu verzichten. „Es war schlimm für mich, es tut weh.“ Doch in unangenehmen Gefühlen neigen wir eher dazu, vorwurfsvolle oder abwertende Worte zu verwenden. Wenn wir überzeugt davon sind, andere müssten sich ändern, führt dies eher zu einem Machtkampf als zu Verständnis. Im Di-Stress von Vorwürfen verhalten sich Menschen meist weniger entgegenkommend.
„Es tut mir leid, dass das passiert ist. Ich möchte das wieder gut machen.“ Wenn ich verstanden habe, wie sehr etwas, das ich getan oder gesagt habe, mein Gegenüber verletzt hat, bin ich auf Verzeihen angewiesen. Vielleicht kann ich auch verstehen, dass ich, wenn auch ohne Absicht, unsere Liebes-Beziehung verletzt habe. Etwa durch den lustvollen Flirt mit einer dritten Person werden sich viele Menschen verraten fühlen. Abenteuer außerhalb der Beziehung werden ein vereinbartes oder erwartetes Treueversprechen verletzen. Dann kann ich eine „Schuld“ nicht einfach so begleichen. Verzeihen ist eine autonome Entscheidung der verletzten Person. Der Beitrag der verletzenden Person zur Versöhnung besteht vor allem darin, Verantwortung zu übernehmen. Verletzende müssen erkennen, dass sie Schmerz verursacht haben. Damit sind sie, auch ohne es zu wollen, schuldig geworden. Das bedeutet, die Verletzung zu verstehen, zu bedauern und zu akzeptieren, auf Verzeihen angewiesen zu sein. Der Verzicht auf Beschwichtigen, Verteidigen, Rationalisieren, Verharmlosen, und vor allem auf Gegenangriff, öffnet den Weg für Versöhnung. „Ja, ich habe dir wehgetan. Es tut mir leid, bitte verzeih!“
Ausgleich erleichtert uns, das Unangenehme loszulassen. Als Wiedergutmachung für eine Verletzung kann eine „Sonderleistung“ für die Beziehung vereinbart werden. Diese Leistung kann symbolisch sein, es ist jedoch notwendig, dass diese von der verletzten Person anerkannt wird und dass die Geschichte abgeschlossen wird. „Damit soll’s gut sein“. Förderlich für das Loslassen der Wunde ist, wenn es der gekränkten Person nach dem Aussprechen der Verletzung gelingt, sich auch in den Täter einzufühlen. Das bedeutet, die unbewusste Macht der Opferposition zu verlassen. Durch Verzeihen wird eine Negativ-Bindung gelöst. Dennoch kann nach einer heftigen Verletzung die Beziehung zu Ende sein. Faire Trennung bejaht die Liebe, die verloren gegangen ist. Gegenseitige Abwertung erschwert eine gelungene Trennung: weil wir uns dagegen wehren abgewertet zu werden, halten wir aneinander fest. Manchen erscheint ein sexueller Seitensprung als unverzeihlich. Doch auch diese Kränkung kann heilen, wenn sich beide ehrlich darum bemühen. Liebe kann Verletzungen verzeihen.
Paul Lahninger mit Gedanken von: Hans Jellouschek: Liebe auf Dauer, 2011; Wolfgang Schmidbauer: das Coaching der Liebe, 2013; Alain de Botton: Der Lauf der Liebe, 2016 Friedrich Glasl: Selbsthilfe in Konflikten, Bern 2015; Virginia Satir: Selbstwert und Kommunikation. München 1975
Bücher, Coaching, Seminare, Workshops für Persönlichkeitsentwicklung, Teamentwicklung, Beratungskompetenz, Konfliktlösung, Motivation.